Empfehlungen: Post-Transplant-Diabetes nach Nierentransplantation

Im Rahmen einer ESOT-Konferenz (European Society of Organ Transplantation) wurde ein interdisziplinäres Treffen zwischen 24 Nephrologen, Transplantchirurgen wie auch Diabetologen und Grundlagenwissenschaftlern veranstaltet, um rezente Entwicklungen auf dem Gebiet des sog. Post-Transplant Diabetes mellitus (PTDM) bzw. New-Onset Diabetes after Transplantation (NODAT) nach Nierentransplantation zu erörtern, Unklarheiten und Diskrepanzen v. a. in Diagnostik, Ätiologie sowie Therapie zu akkordieren und künftige Herausforderungen auf diesem wichtigen Gebiet zu diskutieren. Da die letzten Empfehlungen zu Diagnose und Therapie von PTDM bereits aus den Jahren 2003 und 2005 stammten, schien es nur allzu angebracht, fast 10 Jahre später ein solches Treffen folgen zu lassen. Die gezogenen Schlüsse wurden nach über 6 Monate dauernden Diskussionen, die sich in Form von E-Mail-Korrespondenz an das Treffen anschlossen, zu Papier gebracht und sind inzwischen im „American Journal of Transplantation“ erschienen. Im Folgenden wollen wir sowohl die wichtigsten Punkte dieses Konsensus-Papiers als auch die entsprechenden Hintergründe erläutern. Die Referenzen zu den hier im Vergleich zur Originalpublikation deutlich legerer dargestellten Sachverhalten sind dem Originalartikel (Sharif A et al., AJT 2014) zu entnehmen.

Die beteiligten PTDM-Experten hielten im Rahmen des PTDM/NODAT-Meetings Kurzvorträge von jeweils circa 7 Minuten. Ursprünglich war gedacht, das folgende Konsensus-Papier der Gliederung dieses Meetings entsprechend in die Abschnitte „Signifikanz“ (Einleitung), „Diagnostik“, „Pathomechanismus“ (mit dem Unterpunkt Immunsuppression), „Therapie“ und „Prävention“ zu unterteilen. Entsprechend ihren Forschungsinteressen und ihrer Expertise sprachen zur „Signifikanz“ die Wissenschaftler Alan Jardine, England („Cardiovascular Disease in the Transplant Population“, Trond Jenssen, Norwegen („The Impact of NODAT for Transplant Outcomes“), Manfred Hecking, Österreich („NODAT-Prevalence in the USRDS: A Case Against Tacrolimus?“), und Esteban Porrini, Spanien („The Natural History of NODAT and Prediabetes“). Zum Thema „Diagnose“ äußerten sich Tone Valderhaug, Norwegen („The Oral Glucose Tolerance Test as Diagnostic Tool“), Adnan Sharif, England („Validity of Glycated Hemoglobin to Diagnose NODAT“), Solomon Cohney, Australien („Afternoon Glucose and Continuous Glucose Monitoring“), und Giovanni Pacini, Italien („What Can Be learned from an Oral Glucose Tolerance Test“). Zum Thema „Pathomechanismus“ trugen vor: Johannes Werzowa, Österreich („The Metabolic Syndrome: Historical Perspectives“), Aiko DeVries, Niederlande („Insulin Sensitivity versus Resistance in NODAT Development“), Jennifer Larsen, USA („Risk Factors in Humans and Animal Models in Research“), Marcus Säemann, Österreich („Is NODAT a Form of Type 2 Diabetes Or Not?“), und Piero Marchetti, Italien („The Pancreatic Beta Cell in Human Diabetes Development“). Zur Immunsuppression äußerten sich Julio Pascual, Spanien („Steroid-Sparing Strategies in Kidney Transplantation“), Klemens Budde, Deutschland („Calcineurin Inhibitor-Free Strategies“), Armando Torres (vertreten durch Esteban Torrini), Spanien („Trials of Tailored Immunosuppresison in Humans“), und wiederum Esteban Porrini, Spanien („Animal Models in NODAT Research“). Zum Thema „Therapie“ sprachen drei österreichische Diabetologen: Gerit-Holger Schernthaner, Michael Krebs und Alexandra Kautzky-Willer („Non-Insulin Glucose Lowering Treatments in the General Population“, „Non-Insulin Glucose Lowering Treatments in Patients after Renal Transplantation“, „Insulin Therapy in the General Population with Type 2 Diabetes Mellitus“) sowie wiederum Manfred Hecking („Insulin Therapy in Patients after Renal Transplantation“). Zu „Prävention und Ausblick auf zukünftig notwendige Studien“ äußerten sich wiederum Solomon Cohney, Australien („Post-Transplantation Monitoring by Glucose Measurements, OGTT and HbA1c“), Adnan Sharif, England („Lifestyle Modification“), Akinlolu Ojo, USA („ITP-NODAT: A Trial to Prevent New-Onset Diabetes after Transplantation“), und Aiko DeVries („Future Research Directions“).
Am folgenden Tag bereiteten die PTDM-Experten Punkt für Punkt die Vorträge des Vortags nach. Interessanterweise kristallisierten sich trotz strikter Beibehaltung der vorgegebenen Gliederung verschiedene „heiße Themen“ heraus, die in Form von 7 Empfehlungen (Recommendations) in das Konsensus-Papier übernommen wurden.

1. Empfehlung

Change terminology from New-Onset Diabetes After Transplantation (NODAT) back to Post-Transplantation Diabetes Mellitus (PTDM): Es bestand weitestgehend Konsens über die ernsthaften Folgen eines neu aufgetretenen Diabetes mellitus nach Nierentransplantation, welche hauptsächlich mit reduziertem Transplantat- wie auch Gesamtüberleben assoziiert sind und darüber hinaus auch zu erheblichen ökonomischen Belastungen für das Gesundheitssystem führen. Die erste sehr wichtige, von den Teilnehmern als sinnvoll erachtete Änderung betrifft die Terminologie, da der in den letzten Jahren überwiegend verwendete Begriff NODAT für New-Onset Diabetes After Transplantation nicht in allen Fällen einem tatsächlich neu aufgetretenen Diabetes entspricht. Nicht in allen Zentren erfolgt routinemäßig die (mitunter schwierige) Abklärung eines Diabetes mellitus vor der Transplantation und somit würde ein auch ohne Transplantation entstandener Typ-2 Diabetes mellitus nicht adäquat mit NODAT (neu aufgetreten) bezeichnet werden. Daher wurde beschlossen, zum früher verwendeten Begriff Post-Transplant Diabetes mellitus oder PTDM zurückzukehren. PTDM beschreibt damit die Diagnose eines Diabetes mellitus nach Transplantation unabhängig davon, ob dieser schon vor der Transplantation existiert hat oder nicht.
Im gleichen Paragrafen wurde nach PTDM der Term „Prädiabetes“ vorgestellt, der in Analogie zur Diabetologie für Patienten verwendet werden soll, deren Post-Transplant-Hyperglykämie den Schwellenwert für PTDM (wie bei Typ-2-Diabetes: Nüchternblutzucker ≥ 126 mg/dl, 2-Stunden-Wert im oralen Glukosetoleranztest ≥ 200 mg/dl) zwar nicht erreicht, aber den Normalwert übersteigt. Von den zur Verfügung stehenden diagnostischen Parametern ist der Nüchternblutzucker der am wenigsten aussagekräftige, da bei transplantierten Patienten eine relative Nebenniereninsuffizienz häufig ist, was zu tendenziell normalen morgendlichen Blutzuckerwerten führt. Nüchternblutzuckerwerte < 90 mg/dl treten bei immerhin noch 10 % der PTDM-Patienten auf. Deshalb bestand Konsens dahingehend, dass auf lange Sicht für transplantierte Patienten die Schwelle für abnormen Nüchternblutzucker gesenkt werden soll und dass der Schwellenwert der American Diabetes Association (ADA) von 100 mg/dl demjenigen der World Health Organization (WHO) von 110 mg/dl vorzuziehen sei.

2. Empfehlung

Exclude transient post-transplantation hyperglycemia from PTDM diagnosis: Diese Empfehlung war eindeutig und einleuchtend: Die postoperative Hyperglykämie ist mit einer Inzidenz von 80–90 % überaus häufig. Nachdem aber diese frühen Hyperglykämien, die unmittelbar postoperativ bis zu den ersten Monaten post-transplant, wenn die Immunsuppressionsspiegel noch verhältnismäßig hoch sind, oftmals reversibel sind und mithin die Spezifität einer Diabetesdiagnostik entsprechend niedrig wäre, wurde empfohlen, eine Diabetesdiagnose erst dann zu stellen, wenn die Patienten in einem klinisch stabilen Zustand sind. Das bedeutet z. B. Abwesenheit von schwerwiegenden Infektionen oder akuten Abstoßungen mit stabiler Transplantatfunktion sowie stabil niedrige Immunsuppressionsspiegel. Da die Taper-Schemata der Immunsuppressiva individuell unterschiedlich sein können und zudem oft zentrumsspezifisch gehandhabt werden, wurde in den Empfehlungen bewusst keine genaue zeitliche Eingrenzung vorgeschlagen.

3. Empfehlung

Expand screening tests for PTDM using post­prandial glucose monitoring and HbA1c to raise suspicion, while oral glucose tolerance tests remain the most important: Die Basis für ein adäquates PTDM-Management stellt eine verlässliche Diagnostik dar. PTDM hatte in bisherigen Publikationen eine Inzidenzspanne von 3–40 %, was aber daran gelegen haben mag, dass es lange Zeit keine einheitlichen diagnostischen Kriterien gab. Mittlerweile besteht Konsens darüber, dass der OGTT als Goldstandard für die PTDM-Diagnose herangezogen werden soll. Der OGTT kann zum einen mehr PTDM-Patienten identifizieren als die Messung des Nüchternblutzuckers (Gründe oben angegeben), zum anderen identifiziert der OGTT auch Patienten mit gestörter Glukosetoleranz. Dies ist insbesondere bedeutsam, da bereits eine isolierte Störung der Glukosetoleranz bei Nierentransplantierten mit einem deutlich erhöhten Mortalitätsrisiko vergesellschaftet ist. Leider ist der OGTT neben seiner geringen Reproduzierbarkeit durchaus aufwändig, sodass er für Routinezwecke v. a. in größeren Transplant-Zentren kaum routinemäßig eingesetzt werden kann.
Auch die Bestimmung des HbA1c ist nicht unproblematisch. Vor allem in der ersten drei Monaten nach Transplantation ist die HbA1c-Bestimmung oft unzuverlässig und nicht ausreichend sensitiv, vor allem durch Einflüsse auf die Lebensspanne der Erythrozyten, bedingt durch Erythropoetin-Gaben sowie ggf. Bluttransfusionen.
Sehr rezent berichteten Yates et al. in „Transplantation“ über den Vorteil einer Aufdeckung von Post-Transplant-Hyperglykämie mit dem Monitoring des Blutzuckers am Nachmittag (Afternoon Glucose Monitoring [AGM]). Der aus dem kapillaren Blut (Fingerstich) gewonnene Blutzuckerwert war in ihrem Datensatz sogar sensitiver als der OGTT und der HbA1c im Aufdecken der Hyperglykämie zum 6-Wochen-Zeitpunkt nach Nierentransplantation. Auch diese überzeugenden und logischen Daten wurden im Konsensus-Papier festgehalten und deren einleuchtende Implikationen, dass es nämlich sinnvoll wäre, Patienten nach der Nierentransplantation mit einem Blutzuckermessgerät auszustatten, damit sie ihre nachmittäglichen Blutzuckerverläufe selber monitieren können.
Grundsätzlich besteht das Problem, ob die Schwellenwerte, die z. B. für den HbA1c-Wert bei Patienten mit Typ-2-Diabetes etabliert wurden und sich an der Entwicklung von mikro- sowie makrovaskulären Komplikationen orientieren, auf Patienten mit PTDM übertragen werden können, da es bislang keine ausreichend langen Endpunktstudien zu dieser Frage gibt. Weitere Studien sind unbedingt notwendig bzw. derzeit im Gange, um diese klinisch relevante Frage zu beforschen, d. h., eine Risikostratifizierung vorzunehmen und entsprechende therapeutischen Konsequenzen zu ziehen.

4. Empfehlung

Identify patients at risk for PTDM: Klarerweise wurden auch im nun entstandenen Konsensus-Papier die klassischen Risikofaktoren für PTDM (Alter, Body-Mass-Index, Insulinresistenz) angesprochen. Rezente Erkenntnisse stellen aber auch eine Schädigung der Beta-Zelle, insbesondere durch die immunsuppressive Therapie, in den Mittelpunkt der PTDM-Ätiologie. Derzeit rückt eher der Schutz der Inselzellen als die Modifikation teils fragwürdiger Risikofaktoren, wie etwa des metabolischen Syndroms oder einer urämisch bedingten Insulinresistenz in den Brennpunkt des weiteren Interesses. Erst künftige Studien können klären, ob eine etwaige Modifikation von Risikofaktoren PTDM-Inzidenz und PTDM-Progression beeinflussen können.

5. Empfehlung

Choose and use immunosuppression regimens shown to have the best outcome for patient and graft survival, irrespective of PTDM risk: Die Einigung auf eine Abkehr von der Strategie, die immunsuppressive Therapie zu modifizieren, um PTDM zu verhindern oder gar zu behandeln, stellt im Vergleich zu den Guidelines des Jahres 2003 eine sehr wesentliche Neuerung dar. Die Teilnehmer des Konsensus-Meetings waren sich auf der Basis der Literatur einig, dass die beste verfügbare Immunsuppression, insbesondere was Prävention von Abstoßung sowie Langzeitüberleben betrifft, dem Patienten unabhängig vom Diabetesrisiko angeboten werden muss. Weitere Daten zum Thema individualisierte immunsuppressive Therapie in PTDM-Hochrisikopatienten werden mit Spannung erwartet.

6. Empfehlung

Use strategies for prevention and treatment beyond modification of immunosuppressive regimens: Ähnlich wie in der Normalbevölkerung konnten positive Effekte einer Lebensstilmodifikation inklusive vermehrten aeroben Trainings auf die Blutzuckerregulation auch bei Transplantierten gezeigt werden, es fehlen jedoch adäquate Studien mit solider Trainingsanleitung und Diätberatung, welche den Einfluss einer Lebensstilmodifikation bestätigen – solche werden, wie überhaupt auf dem Gebiet der chronischen Niereninsuffizienz, dringend benötigt. Für Patienten mit Prädiabetes nach Nierentransplantation liegen bereits erste Daten zur Effizienz und Sicherheit von DPP-4-Hemmern und Pioglitazon vor, weitere Langzeitdaten mit einer größeren Zahl an Patienten wären jedoch von großem Interesse.
Eine weitere wichtige Neuerung der Empfehlungen betrifft die Therapie sowie Prävention des manifesten PTDM. Während bislang galt, dass nach Lebensstilmodifikation (und etwaiger Adjustierung der Immunsuppression) v. a. orale Antidiabetika und erst zuletzt Insulin zum Einsatz kommen sollten, so soll nach der derzeitigen Empfehlung, basierend auf einer von Hecking et al. in JASN 2012 publizierten, randomisierten Pilotstudie unseres Zentrums, einer frühen postoperativen Hyperglykämie durch ein Basalinsulinschema vorgebeugt werden, welches praktisch leicht zu handhaben ist. Im Zentrum der Überlegungen zu dieser Strategie liegt die Entlastung der Inselzellen durch exogenes Insulin, v. a. wenn die Spiegel der Immunsuppressiva, welche die Insulinsekretion hemmen, noch hoch sind. Idealerweise müssen Patienten, die in der Frühphase nach Nierentransplantation hyperglykämisch sind und Insulin zur Normalisierung ihres Blutzuckers brauchen, nur über wenige Monate Insulin spritzen, um einen PTDM effektiv zu verhindern: Robuste Daten zu dieser Strategie werden aus einer derzeit laufenden multizentrischen Studie (ITP-NODAT; clinicaltrials.org: NCT01683331) innerhalb der nächsten 3 Jah­re erwartet. Eine postoperative Insulingabe konnte aber bereits jetzt (ohne Angabe von Blutzucker-Schwellenwerten für deren Beginn) bei Nierentransplantierten befürwortet werden, da sie einem generellen Management der Hyperglykämie nach operativen Eingriffen entspricht.
Für einen bei stabilen Patienten neu diagnostizierten PTDM gilt die Empfehlung, Sulfonylharnstoffe hintanzuhalten, da die kompromittierte Insulinreserve nur zu einer weiteren Beschleunigung der Inselzellerschöpfung führen würde, wohingegen nach ebenfalls rezenten Daten Gliptine, wie z. B. Vildagliptin, als vielversprechendere Therapieoption gelten können. Dennoch müssen weitere Studienergebnisse abgewartet sowie weitere Einblicke in die Pathogenese des PTDM auch unter neueren immunsuppressiven Therapieregimen gewonnen werden, um einen gültigen Therapiealgorithmus, der auf soliden Daten fußt, empfehlen zu können.

7. Empfehlung

Expand basic, translational and clinical research in the field of PTDM to resolve unanswered questions: Diese Empfehlung ist fast selbsterklärend. Besonders auf dem Gebiet der Pathophysiologie (PTDM ist kein Typ-2-Diabetes), Diagnostik (Ab welchen Blutzucker-, 2-h-OGTT- und HbA1c-Schwellenwerten treten makrovaskuläre Komplikationen auf?) und Therapie (wann, womit und mit welchem normoglykämischen Ziel?) benötigen wir dringend weitere Studien. Tiermodelle können hilfreich sein.

ZUSAMMENFASSEND sollen die deutlichen Fortschritte, welche auf vielen Gebieten der Nierentransplantation gemacht werden, zu einem verbesserten Langzeitüberleben unserer Patienten führen, die immer noch kardiovaskuläre Hochrisikopatienten darstellen. Die Empfehlungen des letzten PTDM-Konsensus-Treffens stellen einen wesentlichen Schritt in diese Richtung dar.

Autor: Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Marcus Säemann
Klinische Abteilung für Nephrologie und Dialyse, Universitätsklinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien

Autor: Dr. Johannes Werzowa
Klinische Abteilung für Nephrologie und Dialyse, Universitätsklinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien

AutorIn: Dr. Manfred Hecking
Klinische Abteilung für Nephrologie und Dialyse, Universitätsklinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien